Ein Foto einer Straßenszene. Der Hintergrund ist verschwommen und im Vordergrund sieht man einen großen Flohmarkttisch voller Bücher. Direkt vor der Kamera ist eines aufgeschlagen und ein paar Seiten werden gerade vom Wind bewegt.
Blog Sonstiges

Back to the roots

Ich habe dann also wohl wieder einen Blog. Das ist ein merkwürdiger Satz, weil er mir einerseits sehr vertraut ist, gleichzeitig sich aber doch auch sehr fremd anfühlt. Ich habe seit meinen Teenagerjahren immer gebloggt, eine eigene Seite zu haben, auf der ich mal mehr, mal weniger durchdachte Gedanken veröffentliche, ist für mich also das normalste überhaupt, und ich wäre ohne Geekgeflüster, meinen alten Blog, schlicht nicht da, wo ich heute bin. Die Seite war lange mein digitales Zuhause, ein Ort, an dem ich viel gelernt und an dem ich immer wieder gewachsen bin. Trotzdem ist mein letzter Blogpost dort jetzt schon eine kleine Ewigkeit her und schon davor wurden die Abstände zwischen Beiträgen immer größer. Das hatte unterschiedliche Gründe. Ein paar davon waren Zufall, ein paar andere … weniger. Deshalb, ein Abgesang und ein Neuanfang. Und ein paar ungefragte Gedanken zum Internet in Zeiten von Social Media und Elon Musk gibt es auch noch dazu. Langatmige Essays sind schließlich so ein wenig mein Ding.

Kauft ein Millardär ein Höllenloch

Ich habe die Domain zu diesem Blog schon seit ein paar Jahren, weil mir der Name gefallen hat und ich ohnehin mit ein paar anderen Projektideen gespielt habe, aus denen dann nichts wurde. Vor ein paar Monaten habe ich dann schonmal die Seite im Groben aufgesetzt und zum ersten Mal seit Jahren wieder mit dem Gedanken gespielt, doch wieder mehr zu bloggen. Daraus wurde (erstmal) nichts, einfach, weil ich mir dann doch lieber etwas mehr Zeit und Ruhe lassen wollte, aber die Seite war immerhin schon einmal aufgesetzt. Und dann hat Elon Musk Twitter gekauft.

Twitter war immer ein Höllenloch. Daran lässt sich nicht rütteln. Mein eigener Account existiert seit 2013 und ich habe durch Twitter nicht nur wirklich wertvolle berufliche Kontakte geknüpft, sondern auch ein paar Leute kennengelernt, ohne die ich mir mein Leben kaum vorstellen könnte, aber es auf Twitter auszuhalten, war immer eine Zerreißprobe. Ich bin mir immer nicht sicher, ob sich die Plattform in den letzten Jahren verändert hat, ich mich nur mehr zurückgezogen habe oder ob einfach nur meine Blockliste inzwischen einfach verdammt gut ist, aber ich erinnere mich noch sehr, sehr gut an die übleren Jahre dort bevor Social Media-Konzerne mehr oder weniger zu wenigstens etwas Moderation gezwungen wurden. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, wie es praktisch unmöglich war, bestimmte Namen oder Keywords auch nur auszuschreiben, ohne von vorhersehbar „unpolitischen“ Accounts quasi überfallen zu werden. Oder an die gezielten Kampagnen, die es über die Jahre dort immer wieder besonders gegen Marginalisierte gab. Alles nicht so lange her und das meiste davon kommt auch heute noch immer so ähnlich vor. Aber gut, das ist nun einmal Alltag. Wenn sowieso immer alles brennt, dann gewöhnt man sich eben an die Flammen.

Diejenigen von uns, die es trotzdem bis jetzt auf Twitter ausgehalten haben, trauern alle auf die eine oder andere Weise trotzdem der Plattform nach. Damit geht es mir auch nicht anders. Twitter war trotz allem immer mein liebstes soziales Netzwerk. Die Kontakte, die ich dort geknüpft habe, und die Dinge, die ich dort gelernt habe, würde ich nicht in meinem Leben missen wollen. Und trotzdem, auch ein geliebtes Höllenloch, bleibt ein Höllenloch. Dass es irgendwann halbwegs erträglich wurde, lag an andauerndem Druck von innen wie außen und den Sicherheitsnetzen, die Twitters Nutzer*innen meistens irgendwann selbst angefangen haben, zu spannen. Es war eben ein Höllenloch, aber es war unser Höllenloch und am Feuer konnte man dann immerhin Marshmallows rösten.

Diese Zeiten sind in jedem Fall vorbei. Vielleicht bedeutet die Musk-Übernahme nicht den tatsächlichen Untergang von Twitter als Seite, aber doch ein Ende von Twitter in der Form, wie wir es bisher kannten. Mein Account existiert nach wie vor und das wird er erstmal weiter, aber ich bin parallel auch, wie viele, auf Mastodon umgezogen. Mastodon ist die nächste Plattform mit einer endlosen Liste an Problemen. Sie ist in Teilen sehr weiß, sehr männlich und ich bin dort schon mehrmals an die Grenzen meiner Geduld getrieben geworden, weil wieder jemand meint, für jedes soziale Problem auf Social Media gäbe es eine rein technische Lösung. (Gibt es nicht, das ist ein Techbro-Mythos. Computer (allein) werden uns nie retten.) Und trotzdem: Ich atme dort gerade auf eine Weise auf, wie ich es schon seit Jahren nicht mehr auf Twitter habe.

Zurück auf Anfang

Dieses Aufatmen hat auch sehr viel damit zu tun, warum ich jetzt wieder einen Blog aufsetze. Zunächst einmal habe ich immer gerne eine eigene Publikationsplattform, mit der ich unabhängig von Milliardären bin, die in ihrer Midlife Crisis spontan irgendetwas anzünden, nur weil sie es können. Wenn andere Seiten dicht machen, dann bleibt mir immer noch meine eigene Plattform, auf der ich liebgewonnene Texte doch noch online halten kann, jedenfalls so lange bis ich vielleicht doch mal irgendwo selbst den Stecker ziehe. Das muss man sich zwar auch leisten können – sowohl finanziell als auch persönlich – aber ich bin froh, mir selbst so einen sicheren Hafen erhalten zu können. Das hätte ich auch auf Geekgeflüster tun können. Ganz nüchtern spräche sogar nichts dagegen, den Blog einfach mal wiederzubeleben. Er ist alt, gewachsen, eng mit mir verbunden und nach einem kleinen Redesign könnte ich leicht eine Art Relaunch starten.

Der Grund, weshalb ich das nicht tue, ist genauso kompliziert wie simpel: Einmal möchte ich nicht nahtlos da weitermachen, wo ich zuletzt mit Geekgeflüster aufgehört habe, und zum anderen hängt an diesem Blog eine Reihe von Altlasten, von denen ich mich ein wenig lösen möchte. Geekgeflüster war immer mehr oder weniger ein persönlicher Blog – den ich noch dazu seit meinen Teenagerjahren habe! – und das bleibt er in gewisser Weise auch, weshalb die Seite auch bestehen bleibt. Gleichzeitig habe ich, als ich aufgehört habe, regelmäßig auf dieser Seite zu bloggen, das einerseits aus Zeitgründen und andererseits aus dem simplen Grund getan, dass ich keine Lust mehr hatte, mich regelmäßig von Fremden im Internet – sei es auf Twitter oder in meinen Mails – beschimpfen zu lassen. (Shocking, ich weiß.)

Das Internet so, wie es heute ist, ist groß und in mancherlei Hinsicht chaotisch. Trotzdem halte ich sehr wenig von der fatalistischen Perspektive, „das Internet“ sei in seinem Chaos mehr oder weniger verloren, weil es uns Boomer beschert hat, die sich mit Verschwörungsmythen und Minion-Sharepics auf Facebook und WhatsApp selbst radikalisieren. „Das Internet“ ist noch immer bis zum Rand voll mit Kreativität und Leuten, die sich entgegen aller Logik für gute Dinge engagieren. Die digitale Zivilgesellschaft blüht „hier“ – auch auf Twitter. Viele der guten Seiten auf Plattformen wie Twitter sind aus purer Selbstverteidigung von Leuten gewachsen, die sich weigern, den Raum, den sie einnehmen, aufzugeben, und sich deshalb gegenseitig helfen. Der Knackpunkt ist der, dass es keine Selbstverteidigung sein sollte oder müsste. Nur wenn soziale, digitale Infrastruktur wenigstens langfristig Profit abzuwerfen hat, weil sie eben z.B. in den Händen eines Millardärs liegt, dann bleibt in der Regel eben nur noch das. Das ist kein Problem der Infrastruktur an sich, sondern eines derer, die sie betreiben.

Und doch alles (na ja, etwas) anders

Auch aus dieser Art Selbstverteidigung heraus wird es auf Castles & Code keine Kommentare geben. Denn auch wenn das hier nur mein eigener Blog ist, der grundsätzlich einmal von Social Media losgelöst ist, so leben Texte, die gelesen werden wollen, schon länger von der Aufmerksamkeit, die sie über die sozialen Medien bekommen. Das kann sehr gut laufen oder sehr schlecht und ein Teil davon kann purer Zufall sein. Ich habe es schon erlebt, dass scheinbar harmlose Artikel tagelang eklige Kommentare gesammelt haben, einfach nur, weil sie ein Mal in die falsche Blase hineingeteilt wurden. Das lässt sich nicht ganz vermeiden oder verhindern, es bedeutet aber auch, dass ich meinerseits weder Zeit noch Lust darauf habe, Kommentare zu moderieren und z.B. bei jedem feministischen Text mich mit den vollkommen irrelevanten Ansichten anonymer Kommentarschreiber*innen auseinander zu setzen. Mich interessiert schlicht nicht, was „RealGæmer123“ denkt. (Übrigens auch dann nicht, wenn er mir belehrende E-Mails von Adressen mit Klarnamen aus schickt.) – Herzlichen Glückwunsch an diese Leute, die scheinbar so viel Zeit über haben, dass sie wildfremde Menschen darüber informieren wollen, dass sie sie scheiße finden. Ich habe jedenfalls keine Zeit dafür, solche Kommentare und Mails auch nur zu überfliegen und im Anschluss direkt zu löschen, nur damit irgendeine anonyme Person zufrieden mit sich selbst sein kann, weil sie ihre Meinungsfreiheit und Lebenszeit für etwas so endlos sinnloses genutzt und dabei am besten noch ein paar Beleidigungen von sich gegeben hat. Auch deshalb blocke ich auf Twitter schon seit Jahren für meinen Seelenfrieden schneller als mein Schatten.

Ich schreibe das etwas bitter und etwas müde, weil ich bei diesem Thema eben einfach etwas bitter und etwas müde bin. Social Media und Blogs haben mich nicht nur zu meiner eigenen Kuratorin, sondern auch Moderatorin meines digitalen Lebens gemacht. Und als jemand, die zwar immer geschrieben hat und das sicher auch weiter tun wird, aber auch zu viel Zeit damit verbacht hat, einfach nur das Hintergrundrauschen zu managen, das damit einhergeht, bin ich nun einmal müde. Sicher nicht so müde wie andere, die sehr viel mehr und sehr viel Übleres abbekommen haben als ich je abbekommen habe, aber eben trotzdem müde.

Diese Müdigkeit hat System, denn zermürbte Menschen ziehen sich zurück und das oft genug eben nicht in dem großen „Cancel Culture“-Meltdown, wie er gerne von rechts zelebriert wird, sondern still und leise. Das gilt auch für Twitter. Vielleicht sogar ganz besonders für Twitter, denn dieses System des Zermürbens wird dort in nächster Zeit vermutlich noch schlimmer werden. Die Plattform hat unter der Musk-Übernahme jetzt schon gelitten und sie wird es weiter tun, während Musk selber kein Geheimnis daraus macht, dass er sich mit dem Twitterkauf jetzt zum König der Edgelords machen will. Der Staub der ersten Wochen des kompletten Chaos legt sich gerade, was jetzt kommt ist die unschöne Realität von Twitter unter Musk. (Der ironische Spitzname BirdChan, der sich zum Teil jetzt z.B. auf Mastodon verbreitet, kommt schon nicht von ungefähr.)

Alte Fragen, neue Antworten

Trotzdem steckt im Ende von Twitter so, wie es war, auch eine Reihe von Chancen. Chancen auf neue Räume, neue Netzwerke und neue Plattformen. Twitter war immer eine unvollkommene, letztlich von kommerzieller Gier getriebene Antwort auf Bedürfnisse, die es vor schon vorher gab und auch weiter geben wird. Diese Bedürfnisse werden neue Antworten brauchen. Antworten, die hoffentlich besser sein werden als ein Höllenloch, in dem man es eben aushält, weil es ohnehin keine richtige Alternative gibt. (Und auch besser als Antworten, die von pauschalen Allzwecklösungen ausgehen oder glauben, Moderation sei einfach.)

Teil meiner persönlichen Antwort ist, ironischerweise, nun eben wieder ein Blog. Eine Seite, auf der ich ganz old school meine Texte veröffentlichen kann und deren RSS-Feed man ebenfalls ganz old school abonnieren kann. Ein kleiner, sicherer Hafen für alles, was nirgendwo sonst (wie z.B. auf Language at Play) hinpasst.

Mal sehen, wohin dieses Experiment führt.

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