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Von Fangirls und Nerds: Das Problem mit Gender und Fandom

Das hier ist ein Artikel von meinem alten Blog „Geekgeflüster“, auf dem ich grob von 2012 bis 2021 gebloggt habe. Der Blog ist inzwischen geschlossen und dieser Beitrag hier deshalb an dieser Stelle unverändert archiviert.


Weibliche und männliche Fankultur werden unterschiedlich behandelt und wahrgenommen. Fangirls gelten klischeehaft als alberne Teenager, Nerdkultur ist für alle Altersklassen. Nur warum ist das eigentlich so?

Im Oktober wird es 13 Jahre her sein, dass „Twilight“, der erste Band der gleichnamigen Vampirromanreihe von Stephenie Meyer, erschien. Damit ist das Buch, das eine wahre Welle an Vampir-Romantasy auslöste, zwar für moderne Jugendliche längst nicht mehr aktuell, Meyers Einfluss auf Urban Fantasy, insbesondere auf Vampire, bleibt allerdings. Seit dem Erfolg von „Twilight“ – sowohl in Buch- als auch in Filmform – sind unzählige Kopien wie Parodien erschienen, die mal versucht haben, die Geschichte von Bella und Edward nachzuahmen, mal sich bewusst abgegrenzt haben. Spätestens seit „Buffy“ (Serie) und „Interview mit einem Vampir“ (Roman und Film) sind Vampire popkulturell lange nicht nur immer mehr vermenschlicht, sondern auch immer stärker zu einem romantischen und vor allem auch zähmbaren Love Interest stilisiert worden.

Vampir-Romantasy und die Seitenhiebe auf „Twilight“

Diese Entwicklung machte Vampire nicht nur für den Jugendbuchmarkt immer attraktiver, sondern bereitete auch den Weg für eine Geschichte wie „Twilight“, in der Sexualität schließlich tabuisiert und fast vollständig durch eine rein emotional romantische Erzählung ersetzt wurde. Ausgerechnet ein Vampir wurde plötzlich zu einem Symbol für Enthaltsamkeit, aber auch für Emotionalität, nachdem Vampire literarisch schon seit dem 19. Jahrhundert eigentlich immer ein mehr oder weniger offensichtliches Symbol für Sex gewesen waren. Das Ergebnis war eine Romanreihe mit einem zutiefst konservativ-religiösem bis sexistischen Weltbild, das inzwischen – zu Recht – oft und ausführlich genug kritisiert, über das aber sehr viel öfter auch aus anderen Gründen abfällig hergezogen wurde. Ungefähr zwischen 2008 und 2012 hagelte es im Urban Fantasy fast unablässig „Twilight“-Vergleiche oder andere Bezüge, während gleichzeitig auch mehr und mehr versucht wurde, mit dem Klischee des „braven“ Edwards zu brechen und stattdessen wieder „echte“, d.h. blutigere, Vampire unterzubringen.

Als 2009 „The Vampire Diaries“ startete, dauerte es ganze drei Folgen bis einer dieser „echten“ Vampire einen Seitenhieb gegen Meyers Erfolgsreihe unterbrachte. Damon Salvatore (gespielt von Ian Somerhalder), einer der beiden Vampirbrüder, um die sich die Geschichte dreht, liegt auf dem Bett und blättert gelangweilt in einer Ausgabe von „Twilight“, die offenbar seiner Freundin Caroline gehört, und fragt zuerst augenrollend, was das Besondere an jemand Langweiligem wie Bella sei, und betont dann, als seine Freundin ihn fragt, warum er eigentlich nicht wie Edward in der Sonne glitzert, dass er ein echter Vampir sei und in der echten Welt die eben in der Sonne verbrennen. Der kurze Dialog bringt zwar auch minimal die Handlung der Folge voran, ist aber in erster Linie nur eine Referenz, mit der sich die Autor*innen von „Vampire Diaries“, das eigentlich eine sehr ähnliche Geschichte erzählt, schlicht von „Twilight“ abzugrenzen versuchten. Das ist übrigens besonders absurd, wenn man bedenkt, dass die Romanvorlage, an die sich Teile der ersten Staffel der Serie auch noch grob hielten, nicht nur älter als „Twilight“, sondern auch in ihrer Erzählweise ähnlich klischeebehaftet ist. Eine Serie, die also im Grunde in dieselbe Kerbe schlug, grenzte sich gleichzeitig reflexartig von Edward und Bella ab.

Eine ähnliche Referenz fand sich auch 2010 in der Serie „Supernatural“, die selbst seit 2005 läuft und bei der bis heute kein Ende in Sicht ist. In Folge 5 der 6. Staffel wird das Vampir-Romantasy-Genre als Ganzes sehr offensichtlich parodiert, als eine Gruppe Vampire auf der „Twilight“-Welle mitschwimmt und naive Teenagerinnen jagt, indem einer dieser Vampire, der sehr offensichtlich an Edward Cullen angelehnt ist, sie mit romantischen Versprechen in die Falle lockt. Das ist sowohl im Kontext der gesamten Serie, in der Vampire immer Monster waren, sehr albern und wird auch noch einmal durch die Protagonisten Sam (Jared Padalecki) und Dean (Jensen Ackles) abfällig kommentiert.

Emotionalität ist kindisch, hysterisch und weiblich – weg damit!

In beiden Fällen kommentieren also erwachsene und immer wieder als „hart“ charakterisierte Männer die scheinbar alberne Emotionalität eines Fanphänomens weiblicher Teenager. In beiden Szenen wird das Problem mit Twilight als eines von Emotionen, Hormonen und Naivität dargestellt, nicht als eines von zutiefst sexistischen Erzählsträngen. Für beide ist es fast egal, ob der Gegenstand des Seitenhiebs romantisierte Vampire oder Justin Bieber sind – Die Pointe besteht aus übermäßig emotionalen und damit selbstverständlich lächerlich zu machenden jungen Frauen, die hier ernsthaft einen „unmännlichen“, weil nicht brutalen oder distanzierten Mann wie Edward Cullen anhimmeln. Kurz: Alles, dem man Emotionalität unterstellen könnte, was historisch gesehen ohnehin meistens als weiblich gilt, wird als albern oder kindisch abgetan.

Und dieses Phänomen geht weit über „Twilight“ und moderne Vampirromane hinaus, die sich inzwischen auch popkulturell erstmal in dieser Form selbst überlebt zu haben scheinen. Fanfictions, Romantasy, Fangirling. Alles, das emotional als exzessiv gilt, wird in unseren Sphären meistens eher (jungen) Frauen zugeschrieben und gilt im nächsten Schritt deshalb als albern, kindisch und insgesamt weniger wert. Und eigentlich sollte das auch niemanden überraschen: Weibliche „Hysterie“ war schon seit der Antike eine Diagnose, mit der scheinbar übermäßige weibliche Emotionalität als überzogen und irrational, sogar wie eine Krankheit im Gegensatz zum scheinbar per se rationalen und gesunden Mann behandelt wurde. So wie Frauen insgesamt schon lange bei angeblich überzogener Tendenz zu Emotionalität als hysterisch gezeichnet wurden, so werden heute Teenagerinnen und weibliches Fandom heute als etwas gezeichnet, das nur in einem Zustand hormoneller Überdrehtheit ohne Kontrolle über die eigenen Emotionen stattfinden kann. In dieses Bild passen dementsprechend auch erwachsene Frauen innerhalb so einer emotional geprägten Fankultur absolut nicht. Dementsprechend häufig sind es auch diese Frauen, die gerne mal als nicht existent behandelt werden, obwohl es sie sehr wohl gibt. Sie schreiben Fanfictions, zeichnen Fanart, haben OTPs („One True Pairings“) und führen meistens trotzdem ein normales Leben. Wie mit den meisten anderen Hobbys, schlicht weil das Klischee der fehlenden Kontrolle über Emotionen eben das, ein Klischee, ist. Und trotzdem ist die häufige Vorstellung dieser Art Fan nicht nur weiblich, sondern auch so jung, dass nicht ohne Grund der Begriff der „Fangirls“ aus diesem Bereich kommt.

Fangirls sind nur Teenager-Mädchen?

Das bedeutet nicht, dass in dieser Fangirkultur nicht auch Männer gibt, nur dass die dieser Art Fans häufig zugeschriebenen Eigenschaften solche sind, die wir im Westen meistens als weiblich wahrnehmen bzw. als weiblich behandeln. Das wird auch schon darin deutlich, wenn man den Vergleich zu den Fankulturen zieht, die meistens als männlich geprägt und dominiert gelten. Klassisches Beispiel ist definitiv das, was man lose unter „Nerdculture“ oder „Geekculture“ fassen kann, d.h. grob Fans von Videospielen, Comics, Fantasy und Sci-Fi u.ä., aber das Prinzip ließe sich auch ähnlich wohl z.B. an Fußballfans aufzeigen. Denn stärker als männlich wahrgenommene Fankulturen werden häufig nicht nur schneller ernst genommen, sondern auch selbst bei ähnlichen Gegenständen anders charakterisiert. Hype und Fandom äußern sich hier oft weniger durch offene Emotionalität, sondern durch Besitz und Performanz desselben auf der einen und im schlimmsten Fall offene Aggression in Form des „gerechten“ Zorns der „Nerds“ auf der anderen Seite. Zwischen diesen beiden Polen finden sich Unmengen an Abstufungen, die jeweilige grundlegende Tendenz – z.T. auch in einer merkwürdigen Mischung aus Selbstbild und Außenwahrnehmung solcher Gruppen – bleibt.

Selbst die toxischen Formen beider Fankulturen unterscheiden sich nach diesem Muster. Serien wie z.B. „Outlander“ oder „Sherlock“ mit einem stark weiblichen Fandom und einer damit verbundenen Fangirlkultur kämpfen mit obsessivem Shipping sowohl ihrer Hauptdarsteller als auch der Figuren und z.B. „Star Wars“ genauso wie Videospiele im allgemeinen haben immer wieder das Problem von aggressiv Einzelpersonen bedrohender Fans, wenn etwas eintritt, das in ihrer Meinung nach das entsprechende Franchise zu ruinieren droht. Das mögen zwei extreme Pole sein, aber gerade in ihrer Eigenschaft als extrem verdeutlichen sie das, was auch der Abwertung von „Twilight“ als etwas erklärt, das Teenager-Mädchen mögen.

In beiden Kulturen können dementsprechend sehr wohl Personen vertreten sein, die nichts von dem entsprechen, der Punkt ist allerdings, dass wir jenseits von Einzelpersonen gewisse Eigenschaften eher Männern oder Frauen zuordnen. Vereinfacht in einer Art Faustregel formuliert: Fan-Frauen sind kindisch oder sogar hysterisch, Fan-Männer leidenschaftlich oder aggressiv. Und daran schließt ein weiteres Wahrnehmungsproblem an: Frauen sollen ihrer Fangirlkultur entwachsen, Männer werden eben Jungs bleiben.

Die ewige Abwertung von allem, was Teenagermädchen lieben

Das, was sich unter anderem in der Abwertung von scheinbar kindischer Fankultur wie der um „Twilight“ per se im Gegensatz zu einer vielleicht aufgrund der Gewalt kritisch beäugten, aber im Grunde geduldeten Fankultur wie der um Videospiele äußert, ist natürlich ein konstruierter Unfug, der sich aus einem Ineinandergreifen von Gender- und Altersstereotypen ergibt. Gleichzeitig verdeutlicht dieser Unfug aber auch das Problem mit besagter „Kritik“ an Phänomenen wie „Twilight“ oder Vampir-Romantasy im Allgemeinen in dem Stil, wie sie sowohl „Vampire Diaries“ als auch „Supernatural“ innerhalb der eigenen Handlung als Seitenhieb angebracht hat.

Denn die darin geäußerten abfälligen Kommentare stellen weder das sexistisch-konservative Weltbild der „Twilight“-Reihe noch selbst ihre erzählerisch mittelmäßige Qualität ernsthaft in Frage, sondern nur eine scheinbar rein weiblich-irrationale Emotionalität und Naivität. Damons Pointe liegt darin, dass er, ein echter Vampir, im Gegensatz zu Edward nicht glitzert, sondern in der Sonne verbrennt, und Dean und Sam schütteln den Kopf über die Naivität der Opfer der Vampire, die nicht auf die Idee kommen, dass echte Vampire Monster seien und sich stattdessen von fadenscheinigen Liebeserklärungen überlisten lassen. Wieder sind es die angeblich hysterischen Mädchen, die angeblich keine Kontrolle mehr über ihre Emotionen haben, auf deren Kosten diese Witze gehen.

Die Unterstellung ist nicht nur übertrieben, sondern auch typisch: Was scheinbar nur Teenagermädchen gefällt, wird sehr schnell als weniger wert abgetan. Das ist albern, nicht fair und im schlimmsten Fall sogar gefährlich. Sexistische, missbräuchliche, queerfeindliche oder ähnliche Tropes sinnvoll zu diskutieren, ist fast unmöglich, wenn der Gegenstand, den man zu diskutieren versucht, als zu banal für einen kritischen Blick abgetan wird, aber gleichzeitig zum Teil prägende Literatur für Jugendliche in einem bestimmten Alter oder einfach nur bei vielen Mädchen oder Frauen beliebt ist. Dabei ist „Iron Man“ nicht besser oder schlechter als „Twilight“, sondern die Zielgruppe ist nur eine andere. Das ist grundsätzlich legitim, nur die abfällige Reaktion nur darüber, dass etwas als weiblich gezeichnet wird, ist es eben nicht.

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