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„Kingdom Come: Deliverance“ und „A Woman’s Lot“ sind immer noch Realsatire

Das hier ist ein Artikel von meinem alten Blog „Geekgeflüster“, auf dem ich grob von 2012 bis 2021 gebloggt habe. Der Blog ist inzwischen geschlossen und dieser Beitrag hier deshalb an dieser Stelle unverändert archiviert.

„Kingdom Come: Deliverance“ war und ist ein mindestens kontrovers diskutiertes Spiel. Und auch wenn die Diskussion eigentlich längst abgeflaut ist, lohnt es sich doch, einmal einen Blick auf eines der DLCs des Spiels zu werfen. Denn „A Woman’s Lot“, das den Fokus auf die Frauen von Skalitz und im Besonderen die Müllerstochter Theresa verschiebt, erzählt sehr viel über Gender und „Kingdom Come: Deliverance“ – Nur vermutlich auf eine andere Art als geplant.

Eigentlich ist es sogar sehr ironisch. Seit Release des DLCs scheinen Fans des Hauptspiels es nicht müde zu werden, zu betonen, dass die feministische Kritik an „Kingdom Come“ doch ungerecht sei, schließlich gibt es ja ein DLC über die Frauen des Spiels. Und wie kann ein Spiel frauenfeindlich sein, das sich so viel Zeit nimmt, Frauengeschichte zu erzählen? Tatsächlich beweist „Kingdom Come“ auch mit „A Woman’s Lot“ wieder, dass gut erzählte Frauenfiguren mehr brauchen als nur ihre bloße Existenz. Denn ja, das DLC gibt es. Und ja, es gibt sich wenigstens oberflächlich Mühe, seine Frauenfiguren ins Zentrum zu rücken. Aber Nein, „Kingdom Come“ ist dadurch nicht weniger frauenfeindlich, sondern scheitert erneut an sich selbst.

Das schwere Schicksal, eine Frau zu sein

Tatsächlich trifft „A Woman’s Lot“ bzw. „Das Los einer Frau“ als Titel des DLCs seinen Inhalt doch sehr genau: Frauen, so lautet die Annahme, haben nur einen sehr eng abgesteckten Spielraum und ihr bloßes Überleben ist grundsätzlich beschwerlich und in vielen Fällen von Gewalt geprägt. Wenn ich zu Beispiel mit Theresa kurz Kunesch anspreche, der auch zu Beginn des Hauptspiels kurz auftritt, kann ich erfahren, dass seine Frau schon länger verreist ist und ihn ziemlich sicher verlassen hat. Wobei „verlassen“ hier eigentlich das falsche Wort ist, „fliehen“ wäre vermutlich besser. Denn Kunesch ist nicht nur Theresa gegenüber grundlos sehr aggressiv, im Gespräch wird auch recht klar impliziert, dass er seine Frau sehr sicher nicht gut behandelt, vermutlich auch sogar geschlagen hat.

Und genau das ist der Grundtenor, der schon im Hauptspiel durchklang, im DLC aber erst richtig deutlich wird: Das Los einer Frau, das bedeutet Leid und Elend oder wenigstens das Wissen darum, dass beides an jeder Ecke lauern kann. Das ist im Grunde nicht überraschend und schlicht typisch für diese Art von Mittelalterrezeption, die das Mittelalter im Allgemeinen eben als düstere, brutale Zeit begreift, muss aber angesichts des Anstrichs von Neutralität und Seriösität, den sich Studio und Spiel geben, eben auch so benannt werden. Mit „A Woman’s Lot“ hätte Warhorse die große Chance gehabt, kreativ mit der Vielfältigkeit von Frauenleben im 15. Jahrhundert umzugehen, hat aber genau das nicht getan.

Stattdessen präsentiert das DLC ein weiteres Mal lieblos geschriebene Frauenfiguren, die nur in Relation zu Männern existieren. Heinrichs Mutter, bei der es aus Heinrichs Perspektive vielleicht noch verständlich war, dass sie nur „Mutter“ genannt wird, heißt auch aus Theresas Perspektive nur „Heinrichs Mutter“ und tatsächlich scheint das auch sonst die einzige Bezeichnung zu sein, die das Spiel für die Figur übrig hat. Damit ist sie nicht allein, es gibt einige namenlose (weibliche) NPCs, aber bei einer doch so zentralen Figur ist diese fehlende Benennung doch sehr bitter.

Auch mit vielen der anderen Frauen, die in Skalitz so leben, kann ich als Theresa reden, einige nennen sie sogar abgekürzt „Thea“ und scheinen wenigstens lose mit ihr befreundet zu sein. Statt hier aber Frauenfreundschaften aufzumachen, die selbst noch unter der Prämisse des „(schweren) Los einer Frau“ funktionieren könnten, scheint es immer um Männer zu gehen. Bianca, Heinrichs Freundin, die im Angriff auf Skalitz umkommen wird und enger mit Theresa befreundet zu sein scheint, tut alles, was sie tut, nur um Heinrich zu gefallen. Johanka, ebenfalls enger mit Theresa befreundet, beginnt einen heillos absurden Dialog, der sich zuerst so anhört als ob Theresa und Johanka romantische Gefühle füreinander hätten, nur um im letzten Moment noch die Kurve zu kratzen und zu offenbaren, dass Johanka nur Hilfe dabei braucht, die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich zu ziehen, damit der sie zum Tanzen auffordert.

„Kingdom Come: Deliverance“ ist und bleibt „Kingdom Come: Deliverance“

Nichts davon kommt überraschend, „Kingdom Come: Deliverance“ ist und bleibt schlicht, was es ist. Ein insgesamt recht frauenfeindliches Spiel, das sich mit großen Augen in einem Traum von einem sehr weißen, sehr heteronormativen und sehr männlichen Mittelalter ergeht. Das war auch für das DLC vorauszusehen, macht es aber nicht weniger lächerlich. Denn „Kingdom Come“ begreift seine Frauen nicht nur als gesellschaftlich eingeschränkt, diskriminiert oder sogar rechtlos, sondern schlicht als unmündige Wesen, deren Welt sich einzig und allein um Häuslichkeit und Familie dreht.

Selbst, wenn Theresa mit Bianca in den Wald geht und sich gegen einen wilden Hund verteidigen muss oder wenn sie sich von Heinrich zum Schwerttraining überreden lässt, passiert das nur aufgrund und im Rahmen dieser Verknüpfung von Weiblichkeit und Häuslichkeit. In den Wald gehen die Frauen nur, weil Biancas Leben sich nur um Heinrich zu drehen scheint und sie unbedingt noch Retterschnaps für ihn brauen will, und Theresa trifft Heinrich auch nur beim Training, weil Bianca ihm ein Bier bringen lassen will, aber nicht selbst aus dem Gasthaus ihres Vaters wegkann, während aber gleichzeitig Theresa auch im DLC bereits als Heinrichs Love Interest inszeniert und erzählt wird. Ganz egal, was die Frauen von Skalitz sagen oder tun, es scheint immer an ihre (zukünftigen) Ehemänner, Väter, Brüder oder Söhne geknüpft zu sein, während sie gleichzeitig auf surreale Weise durch eine Art Nebel der Zufriedenheit zu wandeln scheinen. (Vielleicht kehren die Dörflerinnen auch deshalb weiterhin den Dreck vor ihren Häusern.)

Dieser Nebel ist wichtig, denn er ist Teil dessen, was dieser Betonung von Häuslichkeit und Pflege einen ganz besonders bitteren Nachgeschmack verleiht. All das ist ein zentraler Bestandteil der Idylle von Skalitz vor seiner Zerstörung. Wenn überlebende Frauen wie Theresa oder Johanka danach teilweise erzwungener Maßen mal mehr mal weniger aus dieser Schablone ausbrechen, dann tun sie das im Zuge einer schweren Krise und nur in Folge eines massiven Einschnitts in ihr Leben. Es ist ein Phänomen der Krise, dass sich ihr Leben plötzlich nicht mehr nur rein darum dreht, einen Mann zu heiraten, genauso wie es ein Phänomen der Krise ist, dass sich ihr Alltag nicht vollständig an einem Herd abspielt. Selbst ihre oberflächliche, begrenzte Unabhängigkeit existiert nur Dank eines Blutbads. Sie ist schlicht Teil einer Katastrophe.

Egal wie man es dreht und wendet: „Kingdom Come: Deliverance“ bleibt auch im DLC ein surreales Spiel. Ja, es weiß durchaus phasenweise zu unterhalten und ist immerhin halbwegs konsequent in seiner angestaubten und nationalromantischen Mittelalterimagination, aber es bleibt auch eine Klischeesammlung. Oberflächlich sind Plots und Dialoge nur generisch und klischeebelastet und darunter schlicht ein schaler Versuch, vom Vorwurf der Frauenfeindlichkeit mit mehr Frauenfeindlichkeit abzulenken, auch wenn sie dieses Mal vielleicht besser versteckt ist.

Ich weiß nicht, wo Warhorse mit dem Ansatz eines DLCs über Frauengeschichte(n) hinwollte, aber zu einem nuancierten Umgang mit Gender und Weiblichkeit hat es „Kingdom Come: Deliverance“ nicht gebracht. Stattdessen bleibt auch das DLC stellenweise so absurd und surreal, dass es eigentlich fast eine Parodie auf sich selbst ist. Es bleibt Realsatire.

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